Bremerhaven: Das ist der größte Autoparkplatz der Welt - WELT

2022-07-12 08:57:30 By : Ms. Allen H

J etzt geht es wieder los“, sagt Michael von Harten. Oberschenkeldicke Taue werden an der Kaimauer vertäut. Mit einem ordentlichen Rumms meldet die gewaltige Verladerampe des Schiffs, dass sie Kontakt mit dem Festland aufgenommen hat. Die „MV Parsifal“ ist angekommen. 265 Meter lang, 34 Meter breit und fast 54 Meter hoch.

Eines der größten Autotransportschiffe der Welt, in der Branchensprache auch Car-Carrier genannt, legt in Bremerhaven an. Das Schiff hat über 27.000 PS und Platz für rund 6000 Autos, in seinem Rumpf könnten die Achtelfinalspiele der Fußballeuropameisterschaft ausgetragen werden – und zwar alle zur gleichen Zeit.

Michael Harten blickt über das Hafengelände, auf dem gleichzeitig noch vier weitere Car-Carrier be- und entladen werden. Als Supervisor ist er für den reibungslosen Ablauf der Verladevorgänge auf dem größten Autoumschlagplatz der Welt verantwortlich.

Allein 2015 wurden in Bremerhaven fast 2,3 Millionen Autos und 1,2 Millionen Tonnen Schwerfracht verschifft. Ankommende Autos werden zum Teil gleich vor Ort umgebaut – und nicht selten auch nachlackiert. Denn ab und zu geht etwas schief, und die Mitarbeiter des Autoterminals spüren selbst winzige Schäden auf.

Der Supervisor steigt in seinen kleinen Dienstwagen und dreht eine erste Runde über die neun Decks, die nicht nur aussehen wir die einer normalen Autofähre, sondern auch so riechen – nach einem Gemisch aus Meer, Fisch, Gummi und Abgasen. Ein paar Decks stehen leer.

„Ein Car-Carrier fährt nicht nur einen Hafen an“, erklärt von Harten. „Dieser hier hat 13 Zwischenstationen vor sich, bevor er sein Ziel in Japan erreicht.“ In jedem Hafen verlassen Fahrzeuge das Schiff und neue kommen hinzu. Wenn da nicht ganz genau geplant wird, was wann wo wie hinkommt, sind die engen Zeitpläne kaum einzuhalten.

Der Import und Export von Automobilen begann hier schon zu einer Zeit, als Bremerhaven noch Wesermünde hieß – nämlich mit der Gründung der Norddeutschen Automobil- und Motorenwerke im Jahr 1906. Damals waren Autos noch ein exotisches Gut, das in der Regel als Beiladung auf sogenannten Bananendampfern mitgeführt wurde.

Mit einem großen Kran wurden die seltenen Gäste einzeln an Bord gehievt und zwischen Holzkisten geparkt. Als das Geschäft in den 50er- und 60er-Jahren mit Exportschlagern wie dem VW Käfer und dem Bulli so richtig in Fahrt kam, wurden die Fahrzeuge längst nach dem RoRo-Prinzip verladen.

Die Abkürzung steht für „Roll-on/Roll-off“, was bedeutet, dass jedes einzelne Auto von einem Fahrer bewegt wird. Während ein schier unaufhörlicher Strom fabrikneuer Modelle aus dem geöffneten Heck des Schiffs aufs Festland fließt, rollen in entgegengesetzter Richtung Kombis und Vans auf ihren vorbestimmten Parkplatz auf dem Schiff.

Die Prozedur hat etwas von einem Autoballett: Hier weiß jeder ganz genau, welches Fahrzeug er wo zu platzieren hat. Daneben werden auch Nutzfahrzeuge wie Kräne, Lastwagen oder Baumaschinen verladen. Bis zu 420 Tonnen dürfen die Ungetüme auf die Waage bringen. „Für alle Typen haben wir ausgebildete Fahrer und können jedes erdenkliche bewegliche Objekt an Bord bringen“, sagt Michael von Harten, bevor er wieder im Bauch des Schiffs verschwindet.

Wenn sich ein Fahrer in sein Zielfahrzeug setzt, kann er es sofort starten. Die Schlüssel liegen schon drin, anders wären die riesigen Automassen nicht zu bewältigen. An Land werden die Neuankömmlinge zunächst sehr genau untersucht.

Bei der „Pre-Delivery Inspection“, kurz PDI, werden selbst kleinste Schäden protokolliert und nach Möglichkeit gleich vor Ort behoben. „Wir betreiben hier eine der größten Autowerkstätten der Welt“, sagt Ivo Thamm, technischer Leiter bei der Hafenbetreibergesellschaft BLG Logistics, die sich mehrheitlich im Besitz der Hansestadt Bremen befindet.

Die Mitarbeiter der Werkstatt verwenden allerdings nur einen geringen Teil ihrer Arbeitszeit darauf, Transportschäden auszubessern – die Schadensquote liegt bei unter zwei Prozent. Sie sind hauptsächlich damit beschäftigt, Fahrzeuge umzurüsten und an die Kundenwünsche oder an die Zulassungsbedingungen ihrer Bestimmungsländer anzupassen.

Zum Beispiel den Suzuki Jimny: Im vergangenen Jahr sind rund 4000 Fahrzeuge dieses Typs aus Japan in Bremerhaven eingetroffen, etwa die Hälfte davon wurde von Kunden aus ganz Europa als Sondermodell Ranger geordert. Und genau da kommt die BLG-Werkstatt ins Spiel. „Den Umbau vom Serienfahrzeug zum Sondermodell erledigen wir hier“, sagt Jens Baron, Qualitätskoordinator bei Suzuki.

„Das bedeutet: Aufkleber ran, Trenngitter rein, neue Laderaumauskleidung installieren und die Anhängerkupplung montieren – der Wagen kommt als Jimny und geht als Ranger.“ Auch die Fahrzeuge anderer Hersteller bekommen in der Werkstatt des Autoterminals ihren letzten Schliff.

„Sonnendächer, Navigationssysteme, Klimaanlagen, Ledersitze, Sportfelgen oder Anhängerkupplungen – wir können und machen nahezu alles“, sagt Frank Berger, Chef des Qualitätsmanagements der BLG. „Drei Anhängerkupplungen pro Schicht sind bei uns keine Seltenheit, sondern der Normalfall.“

Zuletzt hat die BLG auf dem riesigen Terminalgelände eine eigene Lackiererei errichtet. Vom Nachlackieren eines kleinen Transportschadens bis hin zur Komplett-Restaurierung ist nun alles möglich. Mit den Datensätzen eines Mischcomputers lässt sich jeder Originalfarbton nachmischen. Rund 80 Mischlacke stehen dem Lackiererteam zur Verfügung.

Bevor die Autos per Lkw oder Autozug ihre Weiterreise zum Händler antreten, werden sie auf dem wohl größten Parkplatz der Welt zwischengelagert. Das Autoterminal in Bremerhaven verfügt über 95.000 Stellplätze, etwa die Hälfte davon ist überdacht. Die Parkhäuser werden von der Betreibergesellschaft als „Regale“ bezeichnet, das letzte von insgesamt acht Regalen ist erst vor einem halben Jahr fertiggestellt worden.

„Damit haben wir über 7000 weitere Stellplätzen geschaffen“, erklärt Frank Dreeke, der Vorstandsvorsitzende der BLG-Gruppe. „Eine Investition von 20 Millionen Euro, mit der wir der Automobilindustrie signalisieren wollen, dass wir unsere Umschlagskapazitäten jederzeit steigern können, wenn der Markt es verlangt.“

Neben den acht Regalen bietet eine der größte Hallen der Welt rund 4000 Fahrzeugen ein sicheres Dach über dem Kopf. Dass in der voll besetzten Halle vom Cayman bis zum Macan momentan ausschließlich Neuwagen von Porsche stehen, lässt erahnen, welche unschätzbaren Werte hier in Bremerhaven zwischengelagert werden.

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