PFAS: Chemiker kriegen unzerstörbare Schadstoffe doch noch klein - DER SPIEGEL

2022-08-20 10:08:55 By : Dongguan Xin Lida

Umweltgift gegen Umweltgift: PFAS-haltiger Löschschaum nach dem Brand eines Tanklasters in den USA

Chemikerinnen und Chemiker der Northwestern University haben »das unmöglich Erscheinende getan«, jubelt  die US-Universität. Einer an diesem Freitag im Wissenschaftsmagazin »Science«  erschienenen Studie zufolge hat das Team eine verblüffend einfache Methode entwickelt, die als »forever chemicals«, ewige Chemikalien, gefürchteten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) in harmlose Produkte aufzulösen.

PFAS sind industriell hergestellte Stoffe, die Wasser und Fett abweisen und unterschiedlichen Temperaturen standhalten. Als nützlich erwiesen sich diese Eigenschaften in Produkten wie Antihaftbeschichtungen von Kochgeschirr, wasserdichter und trotzdem atmungsaktiver Funktionskleidung, wasserfester Kosmetik oder Löschschaum. Die Kehrseite: Bakterien können den starken Verbindungen ebenso wenig anhaben wie Feuer oder Wasser, zudem reichern sich die Chemikalien in der Natur an und bleiben dort praktisch für immer. Und: Inzwischen ist klar, dass PFAS selbst in winzigen Mengen extrem gesundheitsschädlich sein können. Sie gelten als Auslöser mehrerer verschiedener Krebsarten, Hormonerkrankungen und Geburtsschäden.

»PFAS sind zu einem riesigen gesellschaftlichen Problem geworden«, sagte Northwestern-Chemieprofessor William Dichtel. Die Giftstoffe seien in einer Liga mit Blei.

In den meisten neuen Produkten werden PFAS deshalb inzwischen vermieden, manche Verbindungen nach dem Stockholmer Übereinkommen geächtet und etwa in der EU verboten. Jüngst setzte die US-Umweltbehörde EPA den Grenzwert in den meisten Fällen auf null. Doch was ist mit den Rückständen der bereits produzierten Schadstoffe, die sich stetig weiterverbreiten? PFAS wurden bereits im Trinkwasser und im Blut der meisten US-Bürger nachgewiesen, in Deutschland in Muttermilch und in der Arktis in der Leber von Eisbären. Laut einer neuen Schweizer Studie würde das Regenwasser weltweit wegen der PFAS-Konzentration als nicht trinkbar gelten. Zwar werden die Verbindungen erfolgreich aus dem Trinkwasser gefiltert, doch für den Giftmüll gab es bislang keine brauchbare Verwendung.

Mit hohen Temperaturen von bis zu 400 Grad Celsius oder sehr starkem Druck lassen sich die Verbindungen zwar zerstören, doch Dichtel sieht nur gescheiterte Ansätze: Aus einer Verbrennungsanlage im Staat New York seien einige der Schadstoffe entwichen, »durch den Schornstein in die umliegenden Gemeinden«. Zudem sei der Energieaufwand extrem. Die PFAS in Deponien aufzubewahren, »garantiert nur, dass man in 30 Jahren ein Problem haben wird, weil die Verbindungen allmählich in den Boden sickern«.

Unter Dichtels Leitung fand ein Team um die Doktorandin Brittany Trang per Experiment nun doch noch eine Methode, die es der Welt als einfache Lösung präsentiert. Anstatt die durch gegenseitige elektrische Anziehung extrem starken Verbindungen von Kohlenstoff- und Fluoratomen anzugreifen, von denen es in jedem PFAS-Molekül gleich mehrere gibt, zielten die Forschenden auf das, was sie »Achillesferse« nennen: eine Kopfgruppe aus Sauerstoff- und Wasserstoffatomen.

Unter milder Hitze von 80 bis 120 Grad Celsius gab dieser Kopf im Lösungsmittel Dimethylsulfoxid in Reaktion mit Natriumhydroxid nach, und dann zerfiel – mehrere Atome auf einmal – auch die Kette aus Fluor und Kohlenstoff. Übrig blieben laut Dichtel nur harmlose Stoffe, und das mit einer günstigen und einfachen, bisher nur unentdeckten Methode. In Kooperation mit der University of California at Los Angeles und der chinesischen Universität Tianjin wurden die Experimente bestätigt.

Bislang wurde der Prozess auf zehn von mehr als 12.000 verschiedenen bekannten PFAS-Verbindungen angewendet. Den Rest will Dichtels Team jetzt auch noch erledigen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, in der Analyse des Zerfallsprozesses seien Quantencomputer in China zum Einsatz gekommen. Tatsächlich wurde eine quantenmechanische Methode für herkömmliche Rechner genutzt. Wir haben den Text entsprechend angepasst.

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