Podcast "Wieder was gelernt": Wie das Wetter den Ukraine-Krieg beeinflusst - n-tv.de

2022-09-17 09:49:28 By : Ms. Crystal Ou

Der letzte "Mittelmeer-Hurrikan" zog im Oktober 2021 über Italien. Ausläufer eines solchen Extremwettereignisses bekommt üblicherweise auch die Ukraine zu spüren.

(Foto: imago images/Italy Photo Press)

Wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt, kann niemand voraussagen. Sicher ist aber, dass sich beide Kriegsparteien auf einen Wetterumschwung gefasst machen müssen. Im Herbst drohen Überschwemmungen und Matschböden, im Winter bitterkalte Tage und Nächte. Allein deshalb wird der Krieg wahrscheinlich noch lange dauern.

Die ukrainischen Gegenstöße im Krieg gegen Russland kommen gerade noch zum richtigen Zeitpunkt. Einerseits, weil Kiews Militär dem Westen beweist, dass sich die militärische Unterstützung lohnt und damit auch der Kampfpanzer-Debatte Nachdruck verleiht. Anderseits, weil sich der warme Spätsommer verabschiedet und ein Wetterumschwung bevorsteht.

Dieser kann großen Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben, ist Sicherheitsexperte Joachim Weber von der Universität Bonn im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" überzeugt. Die Witterung spiele eine "ganz entscheidende Rolle bei den gegenwärtigen Kalkulationen und strategischen Überlegungen der Kriegsparteien".

Gut möglich, dass die Ukrainer vor allem im Süden ihres Landes in den nächsten Tagen und Wochen weitere offensive Gegenstöße unternehmen. "Für die Ukraine ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie die Russen ein Stück weit zurückgedrängt bekommen. Da die Russen westlich des Dnepr, in der Region Cherson und Umgebung sitzen, sind sie ja über das entscheidende Hindernis hinaus", verweist Experte Weber auf den Dnepr, den breitesten und längsten Fluss der Ukraine.

Doch wenn den Ukrainern in der Region vielleicht sogar ein ähnlicher großer Gegenstoß gelingt wie zuletzt im Nordosten, hätten sie eine gute Ausgangslage für den Herbst und Winter.

Der Herbst ist in der Ukraine traditionell nass und schlammig. Für schweres Kriegsgerät sind das keine guten Bedingungen. Zwar können moderne Panzer mittlerweile auch Matsch und Schlamm überwinden, aber nur extrem schwerfällig. Wahrscheinlich sei das Gelände ab Oktober "für beide Seiten kaum noch nutzbar", hat Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München bereits Ende August im Stern-Podcast "Ukraine - die Lage" prognostiziert.

Größere Offensiven wären unter diesen Umständen schwierig. "Wenn es schlammig ist, kann man sich mit Ketten- oder Radfahrzeugen außerhalb befestigter Wege kaum noch bewegen. Das heißt, die Kriegsaktivitäten werden dann von beiden Seiten heruntergehen, weil sie nicht mehr zu nennenswerten Bewegungen nach vorne in der Lage sein werden", gibt Masala zu bedenken.

Die Ukraine dürfte den Zeitpunkt ihrer jüngsten Gegenoffensive bewusst gewählt haben. In den ersten September-Wochen war es noch im ganzen Land mild, teils sogar spätsommerlich warm. Fast 30 Grad am Schwarzen Meer, um die 20 Grad im Osten des Landes.

Die Aussichten für den Rest des Monats sagen mildes Wetter voraus, sagt ntv-Meteorologe Björn Alexander im Podcast "Wieder was gelernt": "Im Süden des Landes, Richtung Odessa, kann es mit Temperaturen von bis zu 25 Grad auch nochmal sommerlich werden. Der Norden kühlt ab bei Höchstwerten von um die 15 Grad, nachts einstellig, örtlich geht es langsam Richtung Bodenfrost. Sehr auffällig ist der zum Teil heftige Regen, der von den Wettercomputern derzeit berechnet wird. Im Norden des Landes dürfte der September besonders nass zu Ende gehen", resümiert Alexander.

Und auch der Süden der Ukraine bleibt von kräftigen Regenschauern und Gewittern im Herbst in der Regel nicht verschont. Über dem Mittelmeer können sich in dieser Jahreszeit sogar Medicanes entwickeln. Ein "Mediterranean hurricane" ist ein besonders intensiver Sturm, dessen Ausläufer auch Richtung Schwarzes Meer und dann weiter zum ukrainischen Festland ziehen können, berichtet Björn Alexander.

Ein spezielles Wetterphänomen, das statistisch gesehen jedes Jahr einmal auftritt im Herbst oder Winter. "Ein kleiner Hurrikan über dem Mittelmeer. Auslöser für solche Extremsturmereignisse sind häufig sehr warme Sommer mit zu hohen Wassertemperaturen. Und die haben wir derzeit im Mittelmeer und auch im Schwarzen Meer, die Wassertemperaturen sind zwei bis vier Grad zu hoch", sagt Meteorologe Alexander im ntv-Podcast. "Solche Wassertemperaturen geben immer viel Energie an die Atmosphäre frei. Dadurch können neben den Sturm- auch Gewitterereignisse intensiver werden. Und das bringt größere Regenmengen mit sich."

Starkregen, der zu Hochwasser und Überschwemmungen führt, könnte jedenfalls den Kriegsverlauf beeinflussen. Wenn ein Fluss über die Ufer tritt, sind behelfsmäßige Pontonbrücken schnell weggeschwemmt. In dem Fall wäre es deutlich schwieriger, Waffen, Raketen und Verpflegung für die Truppen an die Front zu bringen. Das gilt natürlich für beide Kriegsparteien.

Ob und wie solche heftigen Unwetter in den nächsten Wochen und Monaten in der Ukraine auftreten werden, ist aber konkret schwer vorauszusagen, sagt Experte Björn Alexander. Stand jetzt sagen die langfristigen Wetterprognosen für den ukrainischen Süden einen im Vergleich zu den Vorjahren etwas weniger nassen Oktober voraus. "Das geht oft mit klarer Luft und klaren Nächten einher. Dann sind auch nennenswerte und tiefere Fröste durchaus denkbar. Im Oktober müsste man sich vor Ort dann schon auf deutlich niedrigere Temperaturen einstellen."

Sobald der Boden gefroren ist, womit spätestens im November zu rechnen ist, ergibt sich wiederum eine neue Lage. "Dann ist es wieder möglich, sich mit Panzern zu bewegen", macht Militärexperte Carlo Masala deutlich. Möglicherweise werden dann wieder Offensivmanöver von den Truppen durchgeführt.

Spätestens im Januar sinken die Temperaturen dann ein weiteres Mal. Und nicht nur ein schlammiger ukrainischer Herbst hat es in sich, auch ein eiskalter ukrainischer Winter kann richtig ungemütlich werden. "Im Kernwinter, also Januar und Februar, sinken die Temperaturen ohne Weiteres auf bis zu minus 20 Grad. Dieser extrem kalte Winter kann auch schon im Dezember kommen. Die Menschen vor Ort sind das eigentlich gewohnt, aber durch den Krieg hat sich die Situation natürlich deutlich verändert", gibt Björn Alexander zu bedenken.

Der Blick auf das Zickzack-Wetter zeigt, wie sehr dieses den Krieg beeinflussen kann. In ein paar Wochen schon dürften Dauerregen und Unwetter das Gelände weitgehend unbefahrbar machen. Dann geht die regnerische Zeit in den eisigen Winter über. Das sind keine guten Bedingungen für die Soldaten. Vor allem für die Russen, wenn die Gerüchte stimmen, dass es in Moskaus Truppen einen akuten Mangel an geeigneter Winterausrüstung gibt. Das schwere Kriegsgerät kommt dagegen besser voran als im Herbst, weil der Boden zufriert und damit auch das Gelände wieder befahrbar ist. Am Ende des Winters, wenn die Temperaturen frühlingshafter werden, wird es dann erneut rutschig, weil die Böden auftauen und eine Matschlandschaft hinterlassen.

Bevor das Wetter möglicherweise schon ab Oktober zu einem bedeutenden Kriegsfaktor wird, könnte es in den nächsten Wochen noch größere militärische Schläge beider Seiten geben. "Die Ukrainer werden versuchen, die Russen möglichst auf das ostwärtige Dnepr-Ufer zurückzuwerfen. Dann säße man in einer einigermaßen aushaltbaren Position für den Winter, in der sich beide Kriegsparteien dann für die nächste Runde rüsten werden, die man spätestens im nächsten Frühjahr befürchten muss", erwartet Sicherheitsexperte Joachim Weber.

Die Ukrainer drängen in dieser Kriegsphase vehement auf die Lieferung von Kampfpanzern. Um sich eine bessere Ausgangslage zu sichern für den Winter und die Zeit danach. Denn der Krieg wird höchstwahrscheinlich über den Winter hinausgehen.

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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